In der Weihnachtsausgabe 2014 baten wir Sie darum, uns Ihre Version der Geschichte vom Verbleib des berühmten Zarengoldes zu erzählen. Alle Einsendungen waren hervorragend und jede davon wurde bereits mit dem Transsib-Handbuch von Lernidee-Gründer Hans Engberding bzw. dem Katalog zur Transsib-Ausstellung in München belohnt. Einer der fantasievollsten Texte stammt von unserem Leser Dr. Dr. Herbert Baake, der zugleich eine neue Legende um den Zaren Nikolaus II. entwirft. Wir gratulieren und stellen Ihnen hier den Text mit freundlicher Genehmigung des Autors vor:
Ein alternatives Ende für Zar Nikolaus II.
Der Gewinnertext unseres Schreibwettbewerbs aus der letzten Fernidee (Winter 2014/15)

Bildnachweis: Nikolaus II. auf einem Gemälde von Ernst Friedrich von Liphart
Als Zar Nikolaus II erkannte, dass sein Einfluss und seine Macht immer mehr dahinschmolzen, dass es immer stärkere Strömungen gegen das Zarentum und damit gegen ihn selbst gab, erinnerte er sich an eine alte Geschichte, die ihm vor vielen Jahren schon die Menschen aus Sibirien erzählt hatten. Die Bewohner dieser einsamen Gegenden waren immer schon anfällig für Dämonen, Hexen und Zauberer gewesen und wussten schier unglaubliche Dinge zu erzählen. So lebte am nordöstlichen Ufer des Baikalsees eine mächtige und gleichzeitig wunderschöne Zauberin, die über gewaltige Kräfte verfügte. Man erzählte sich, dass der Mann, der es schaffte, im Winter mit dem größten vorstellbaren Gepäck über den zugefrorenen Baikalsee vom Südwestufer an das Nordostufer zu gelangen, eine Strecke von immerhin 673 km, die Schöne zur Frau bekommen sollte und mit ihr in ihrem großen Reich für immer leben durfte.
Auch Nikolaus glaubte fest an Geister und Zauberer, und bei all den aufziehenden Gefahren um ihn war ein wahnwitziger Plan in seinem Kopf gereift. Seit 1915 existierte die erste Zugverbindung von Moskau zum Baikalsee und weiter nach Wladiwostok, die Transsibirische Bahn, die unter unvorstellbaren Schwierigkeiten gebaut worden war. Wie hieß es in der Geschichte? Mit dem schwersten Gepäck über den Baikalsee? Was war schwerer als ein Eisenbahnzug? Und dazu noch beladen mit all dem Gold aus seinem Palast? Waren es 400 oder 500 Tonnen? Keiner wusste es ganz genau, aber schwereres Gepäck als einen Zug mit Gold konnte es doch gar nicht geben. …
… Nikolaus schickte sofort einige seiner Getreuen nach Sibirien und ließ dort ein Heer von Arbeitern rekrutieren, die eine Abzweigung der Transsibirischen Eisenbahn von der Angara-Mündung über den im Winter bis zu 5 m tief zugefrorenen Baikalsee zum Nordostufer bauen mussten. Ende Jan 1918 wurde in einer Nacht- und Nebelaktion das in Kasan lagernde Gold auf einen Sonderzug des Zaren verladen, 500 Tonnen Gold in 5000 Kisten und 1700 Säcken verpackt, dazu viele Kunstwerke und der gesamte Schmuck der Zarenfamilie. Der als Militärzug deklarierte Zug bestand aus 40 Wagen und Zar Nikolaus hatte sogar auf seinen Prachtwagen verzichtet, damit die Aktion nicht weiter auffiel.
Nach 4 Tagen hatte der Zug den See erreicht und fuhr langsam auf die über das Eis gelegte Trasse. Es knirschte und knackte bedenklich, aber Nikolaus ließ weiterfahren. Ganz langsam fuhr der Zug nach Osten über das Eis und hatte nach weiteren 2 Tagen bereits fast 500 der über 600 km zurückgelegt, als mitten in der Nacht ein gleißendes Licht den Zaren weckte. Voller Angst ließ er halten und sprang aus seinem Wagen. Er meinte, in der Mitte des Lichtes das Gesicht einer wunderschönen Frau zu sehen und ging ein paar Schritte darauf zu.
Das Knacken und Knirschen war stärker geworden, das riesige Gewicht des Zuges drückte auf das Eis und voller Schrecken sah Nikolaus, wie der gesamte Zug erst langsam, dann aber mit einem gewaltigen Krachen mit der gesamten Ladung und Besatzung im See versank. Der Zar versuchte noch wegzulaufen, aber eine Stimme hielt ihn zurück: „Komm zu mir in mein Reich, keiner hat ein größeres Gepäck über den See zu mir gebracht” und damit versank auch der Zar im See.
90 Jahre später suchte das kleine Tiefseetauchboot Mir im Baikalsee nach dem verschwundenen Gold und man meinte, in 400 m Tiefe ein Schimmern und Glitzern zu sehen. Das schlechte Wetter ließ weitere Tauchversuche nicht zu und auch die Unternehmungen im Jahr drauf konnten keine neuen Erkenntnisse über die versunkenen Schätze bringen.
Das Zarengold scheint auf ewig verschwunden – aber die Legende sagt, Zar Nikolaus lebt mit der schönen Zauberin auf dem Grund des Baikalsees in Saus und Braus. Das erzählen jedenfalls die Menschen, die am See wohnen, wenn man bei einem Aufenthalt mit dem Zarengold-Zug einige Gläser Wodka mit ihnen getrunken hat. Sie alle haben schon das Schimmern in der Tiefe gesehen.
Wer heute mit dem Zarengold-Zug entlang des Sees fährt, hält Ausschau nach Lichtern in dem See, aber bis auf das Glitzern der Sonne hat noch niemand wieder etwas entdeckt.
Dr. Dr. Herbert Baake