Auf meiner Reise durch die sibirischen Weiten gibt es nicht nur landschaftlich und kulturell eine Menge zu entdecken. Es bleibt auch Zeit, meine Mitreisenden etwas näher kennenzulernen. Jeder von ihnen, so empfinde ich es immer stärker, hat seinen eigenen kleinen Mythos – den Grund, warum er die Reise angetreten hat. So auch Rüdiger. „Warum soll ich warten, bis ich in Rente bin, um meine Träume zu verwirklichen?“ Er hat es sich genau überlegt. „Ich bin nicht reich, aber es lassen sich immer Gründe finden, etwas Großes aufzuschieben. Ich bin es leid.“
Er erzählt mir, dass er regelmäßig Dokumentationen im Fernsehen aufnimmt, um sie sich später anzusehen. Doch meistens kommt es nicht dazu, nach einiger Zeit löscht er sie. Doch es gibt eine Sendung, die er vor vielen Jahren aufgezeichnet und nie gelöscht hat: Eine Dokumentation über die einzigartige Zugreise auf der Transsibirischen Eisenbahn.
„Ich habe sie gebannt verfolgt und wusste: Das will ich auch erleben! Eine Zugreise von Moskau nach Peking. Nicht im Sessel vor dem Fernseher sitzend, sondern im Zug. Ein Freund von mir war ebenso hellauf begeistert von der Idee, und wir beschlossen, die Reise zusammen zu unternehmen. Doch er verstarb, ohne sich den Traum erfüllt zu haben.“ Birkenwälder, getaucht in strahlendes Sonnenlicht, ziehen an den großen Fenstern vorbei, während sein Blick nachdenklich in die Ferne schweift. „Mir war schnell klar: Gerade deshalb werde ich es tun – auch allein. Klar kostet es Geld. Aber vieles Gute im Leben gibt es eben nicht geschenkt. Und dann hab’ ich gebucht!“
Rüdiger entscheidet sich für den Zarengold-Zug. Warum? „Fremde Länder faszinieren mich, aber ich habe nicht so viel Erfahrung im Ausland“, sagt er. „In den normalen Zügen zu reisen, das wäre nichts für mich. Schon Englisch ist nicht meine Stärke, aber hier in Russland kann ich nicht einmal die Hinweisschilder lesen. Das ist nicht vorteilhaft, wenn man so neugierig ist wie ich. Ich möchte viel über die Orte erfahren, die ich besuche und die Höhepunkte sehen. Das geht eben nur, wenn alles gut organisiert ist.“ Ich kann ihm nur zustimmen, dass er in jeder Hinsicht die richtige Entscheidung getroffen hat.
Rüdiger lächelt. „Ich bin froh, dass ich mir meine Träume erfülle, denn so schaffe ich Platz für neue Ideen. Und davon habe ich schon einige.“
Text: Johannes Klaus
